07.10.2021 | Rückzug aus dem Sprecher*innenkreis der Koalition der Freien Szene Berlin - Brief des Vorstands des bbk berlin an seine Mitglieder

Liebe Kolleg*innen,  

die Vertreterin und der Vertreter des bbk berlin im Sprecher*innenkreis der Koalition der Freien Szene Berlin haben sich aus ihm zurückgezogen. Gründe dafür und Informationen dazu im Folgenden.

Der bbk berlin hat im Jahr 2012 die Koalition der Freien Szene mitbegründet. Sie ist ein im wesentlichen informelles Aktionsbündnis der Künstler*innen der Freien Szene aber auch von Verbänden und Netzwerken, die - wie der bbk berlin - freiberuflich arbeitende Künstler*innen und Freie Künstlergruppen oder Kollektive vertreten. Die Aktivitäten der KdFS werden von Beginn an von einem Sprecher*innenkreis koordiniert, dem Vertreter*innen der beteiligten Verbände und weitere Personen angehören, die von einem Plenum der Koalition der Freien Szene gewählt werden. Zu den Plenen wird zumindest zweimal im Jahr vom Sprecher*innenkreis eingeladen. An ihnen kann jede*r Künstler*in und Kulturschaffende*r in Berlin teilnehmen, der sich der Freien Berliner Kunstszene zugehörig fühlt. 

Die Koalition ist wichtig als Impulsgeberin für politische Forderungen und für den Informationsaustausch untereinander – zu Themen, die die Gesamtheit der Freien Szene betreffen. Ein Beispiel für gemeinsam erstrittene Erfolge ist die Durchsetzung der relativ breit angelegten Recherchestipendien im Berliner Kulturhaushalt, die Künstler*innen aller Sparten erreichen. 

Dennoch haben sich die Vertreter*innen des bbk berlin im Sprecher*innenkreis, Corinna Weiner (seit 2017) und Bernhard Kotowski (seit 2012), im August aus diesem zurückgezogen.
Das hatte persönliche Gründe – u.a. Arbeitsbelastung -, aber eben auch vorrangig politische Gründe, die wir hier darlegen möchten:

Umfrageprojekt 2021/2022

Die landeseigene Stiftung für Kulturelle Weiterbildung, die zum Geschäftsbereich der Senatskulturverwaltung gehört und von dieser gesteuert wird, plant ein aus unserer Sicht problematisches Umfragevorhaben ("Status Quo Freie Szene"), das sie beauftragen und verantworten will. Der bbk berlin hatte im Sprecher*innenkreis darum gebeten, ihm ausreichende Zeit zur Beratung darüber zu geben, bevor dort Entscheidungen über die Beteiligung der Koalition der Freien Szene an diesem Umfrageprojekt getroffen werden. Das erste Mal seit 2012 hat sich eine Mehrheit des Sprecher*innenkreises darüber und über das Gebot, in wichtigen Angelegenheiten nur einvernehmlich zu agieren, hinweggesetzt.

Eine landeseigene Stiftung kann kein unabhängiges Forschungsinstitut sein

In der Sache heißt das nun, dass - unser Informationsstand heute - im Namen und unter Mitwirkung der Koalition der Freien Szene Berlin und ihrer Verbände regelmäßige Umfragen zum "Status Quo der Freien Szene" durchgeführt werden sollen, die nach dem Willen der Stiftung ein wichtiges politisches Steuerungsinstrument sein sollen - aber die Koalition der Freien Szene und ihre Verbände können sie nicht im eigenen Namen durchführen, aus- und bewerten und veröffentlichen.

Umfragen und Studien, die die Freie Kunstszene in Berlin betreffen und für die Ihre Akteure in Mitverantwortung genommen werden, müssen von ihr und ihren Akteuren selbst rechtsverbindlich verantwortet, beauftragt, bewertet und veröffentlicht werden können. Partner dafür sollten
unabhängige Forschungsinstitute sein.

Zugleich kann die Landesstiftung kein unabhängiges Forschungsinstitut sein. Vielmehr ist sie ein von der Exekutive, also Politik und Kulturverwaltung abhängiges Instrument der Kulturpolitik des Landes, das im Übrigen der parlamentarischen Kontrolle völlig entzogen ist. Das heißt auch, dass sie unter Erfolgs- und Rechtfertigungsdruck für wichtige Teile der Berliner Kulturpolitik steht, deren Wirksamkeit und Qualität in diesen Umfragen ermittelt, dargestellt und bewertet werden soll. Mit anderen Worten, die Exekutive verschafft sich ein nur von ihr kontrolliertes Instrument, mit dem sie sich selbst bewerten will. Die Stiftung würde so über die Veröffentlichung und Bewertung von Studien entscheiden, die zugleich ihr eigenes kulturpolitisches Agieren ggfs. natürlich auch kritisch untersuchen soll. So geht das aus unserer Sicht nicht.

Nur die Freie Szene kann ernsthaft beschreiben, was sie ist, dies kann und darf niemals eine Zuschreibung aus der Politik sein.

Ebenso problematisch sind Forderungen aus dem Sprecher*innenkreis, die Arbeit von einzelnen Mitgliedern des Sprecher*innenkreises und von Verbänden kontinuierlich aus öffentlichen Mitteln zu bezahlen. Selbstverständlich nicht an sich, aber es kommt auf das "Wie" an.

Geschieht das aus Geldern unabhängiger Stiftungen (wie das vom Sprecher*innenkreis immer angestrebt wurde) oder zwar aus Mitteln des Landes Berlin, aber über einen eigenen Titel im Kulturhaushalt gesetzlich gesichert - also parlamentarisch verabschiedet - (wie zum Beispiel unser Kulturwerk mit dem Atelierbüro),
wäre das ein richtiger Schritt aus der permanent prekären politischen Arbeit. 

Politische Arbeit muss unabhängig bleiben

Was aber nicht sein darf: Bezahlung politischer Arbeit - die immer unabhängig bleiben muss! - nur auf der Grundlage des Wohlwollens von Verwaltungen oder in diesem Fall der Landesstiftung ohne gesetzliche Grundlage, ohne Parlament und Öffentlichkeit. Genau das aber ist, unser Kenntnisstand heute, beabsichtigt.

Wohin das führen kann sieht man am Beispiel der umstandslosen Abwicklung der Raumbeauftragten der Spartenverbände durch die Verwaltung 2017.

Wohlwollen heute kann morgen vorbei sein, dafür reicht manchmal nur ein immer denkbarer Konflikt - der dann unter Partnern auf Augenhöhe ausgetragen werden muss. Das schließt nämlich aus, dass einer vom anderen wirtschaftlich abhängig und damit erpressbar ist. Ein Sprecher*innenkreis, der auch nur diesen Anschein zulässt, verliert seine Glaubwürdigkeit und damit seinen Sinn.

Diese Befürchtungen sind nicht abstrakt. Tatsächlich gibt etwa die Unterbindung kritischer Stellungnahmen zur Zusammenarbeit mit der Landesstiftung aus dem eigenen PROSA-Büro („Projekt zur Schaffung künstlerischer Arbeitsräume“, ein Büro der KdFS in ungefährer Analogie zum Atelierbüro für die anderen Sparten) durch Mitglieder des Sprecher*innenkreises Anlass zu konkreter Besorgnis. Schon jetzt ist nicht mehr klar, ob solche Entscheidungen aus sachlichen Gründen getroffen werden oder um künftige Geldflüsse an Akteure des Sprecher*innenkreises oder Verbände nicht zu gefährden. 

Wir wollen uns gern wie bisher konstruktiv in die Arbeit der KdFS einbringen. Wir haben zu allen hier dargestellten Problemprojekten eigene Vorschläge gemacht, um sie einvernehmlich realisieren zu können.

Hoffnung auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit: Bisher keine Antworten

Antworten haben wir bislang nicht erhalten. Ein im Plenum der KdFS vom 17. August von Vertreter*innen des Sprecher*innenkreises zugesagter breiter Besprechungstermin hat bisher ebenso wenig stattgefunden.  

Wir haben den Sprecher*innenkreis nun um die zügige Einberufung eines Sonder-Plenums der KdFS gebeten. Wir hoffen, dass dort Ergebnisse erzielt werden, die eine vertrauensvolle Zusammenarbeit auf der Grundlage gemeinsamer Grundsätze weiter ermöglichen können.

 

Mit freundlichen Grüßen
Zoë Claire Miller und Heidi Sill (Sprecherinnen)