08.05.2023 | Artwashing Leipzig - Offener Brief: Warum sponsert Palantir die Kunstausstellung Dimensions in Leipzig?

Offener Brief

Der bbk berlin informiert zum Offenen Brief von Künstler*innen aus Leipzig, die das Sponsoring der Ausstellung "Dimensions" durch Plantir in den Leipziger Pittlerwerken kritisieren. Bitte unterstützt die Leipziger Künstler*innen mit eurer Unterschrift:

"Palantir ist ein US-amerikanisches Datenanalyse-Unternehmen. Das Geschäftsmodell von Palantir scheint es zu sein, all jene ethischen und gesetzlichen Grenzen auszureizen und zu überschreiten, die der Realisierung eines “gläsernen Menschen” entgegenstehen. Wir fragen uns, wie es zum Sponsoring der Ausstellung Dimensions in Leipzig durch Palantir kommen konnte und was die Firma damit bezweckt? Wir fragen uns, welche Interessen der in Berlin gescheiterte Kunstimpressario Walter Smerling und der von ihm geleitete Verein „Stiftung für Kunst und Kultur e.V.“ (Bonn) verfolgen? Wir fragen uns, welche Rolle Kunst, Kurator*innen und Künstler*innen einer solchen Ausstellung spielen?

Wer ist Palantir?

Palantir ist eine Firma, deren Hauptgeschäft die Überwachung von Individuen ist und die sich auf die Zusammenführung eigentlich getrennter Datenbestände spezialisiert hat. Palantirs Produkte erfuhren kürzlich erst Rückschläge vor deutschen Gerichten. Die in die Kritik geratene Software HessenData führt beispielsweise Daten dreier polizeilicher Datenbanken zusammen, sodass auch mit einem Fall nur mittelbar verknüpfte Personen, z.B. Vereinsmitglieder eines Sportvereins, automatisiert überprüft werden.

In Bayern wird die Software Palantir Gotham als „Verfahrensübergreifende Recherche- und Analyseplattform (Vera)“ eingesetzt. Diese wurde zwar durch das Fraunhofer Institut als technisch ausgereift eingestuft, es gibt jedoch verfassungsrechtliche Bedenken. Für die eingesetzten Algorithmen aus den Bereichen Big Data, Künstliche Intelligenz und Machine Learning liegen zum Teil keine oder unzureichende gesetzliche Regelungen vor. So werden Daten auf eine Weise zusammengeführt, die vom bayerischen Landesdatenschutzbeauftragten Thomas Petri als „hoch problematisch“ eingeschätzt wird.

Palantir wurde in der Vergangenheit für seine umfängliche Zusammenarbeit mit der Trump-Regierung kritisiert, die u.a. die Software zur Verfolgung minderjähriger Migrant*innen und ihrer Eltern in den USA konzipierte und einsetzte. Dabei gehörte nicht nur das Überschreiten ethischer Grenzen zum Geschäftsmodell, sondern auch der Einsatz in Entwicklung befindlicher Software, die durch staatliche Gelder finanziert wurde.

Insofern ist der deutsche Markt für Palantir spannend, um staatliche Fördermittel einzustreichen. Palantirs Firmengründer, der rechtskonservative Milliardär Peter Thiel, unterstützt rechte politische Kandidaten im US-Wahlkampf. Thiel ist neben vielen anderen Dingen Förderer der hochproblematischen Ideologie des ‘Longtermism’. Diese will Technologie als wert-neutral positionieren und negiert somit die menschliche Verantwortung für die sozialen Auswirkungen von Technologie. Das passt nicht nur gut zu Thiels’ Palantir, sondern erklärt auch das Sponsoring der Dimensions-Ausstellung, wie weiter unten auszuführen ist.

Nun sponsert ausgerechnet diese Firma eine Kunstausstellung in der Stadt Leipzig. Bemerkenswert, schließlich wurde 1989 in Leipzig die Stasi-Zentrale gestürmt, und über viele Jahre war die Initiative Leipziger Kamera aktiv, welche sich gegen Überwachungskameras im öffentlichen Raum richtete. Die Ablehnung von Überwachung, Schnüffelei und Datensammlung hat eine Tradition in der Stadt. 

Palantir in Leipzig? Auftritt Walter Smerling.

“Leipzig ist eine sehr dynamische Stadt, es gibt eine große Neugier hier. Wir sind sicher, dass das Thema gut ankommt”, so Kunstimpresario Walter Smerling.

Smerling, wir erinnern uns, war Initiator der problematischen Gruppenausstellung Diversity United, die unter anderem Wladimir Putin als Schirmherren führte. Um sich gegen Kritik zu immunisieren hat Smerling im Unterschied zu ‘Diversity United’ für die Leipziger Show Dimensions auf staatliche Fördermittel verzichtet und Palantir und die Deutsche Telekom, der ein Interesse an einer Zusammenarbeit mit Palantir nachgesagt wird, als Sponsoren gewonnen.

Wir schätzen nach einem Ausstellungsbesuch, dass das Budget bei circa 300.000 bis 500.000 Euro gelegen haben könnte. Im chronisch klammen Leipzig wäre das eine beeindruckende Summe, die es erlaubte, sich in die Pittler-Werke einzukaufen und die auswärts konzipierte und bestückte Show abzuladen. Zum Vergleich: 2021 förderte die Stadt Leipzig 37 freie Kunst-Projekte (d.h. nicht an Institutionen gebundene Projekte) mit insgesamt 185.576 Euro. Das ist die Gesamtförderung für nicht-institutionelle Bildende Kunst.

In Berlin ist für Smerling inzwischen das Eis dünn geworden: Neben der kritisierten Ausstellung “Diversity United” war er in einen Deal zur “Kunsthalle Berlin”  involviert, der rückgängig gemacht werden musste, nachdem Berliner Künstler*innen zum Boykott des Projektes aufriefen und auch die Stadt Berlin ihre großzügige Förderung wieder infrage stellte. Die Gründe waren das „System Smerling“ (FAZ) mit wiederholt unethischer Sponsorenwahl innerhalb eines engen Netzwerkes zwischen Wirtschaft, Politik und Kunst,  sowie der Aneignung und Privatisierung öffentlichen Raumes bis zur selbstermächtigten Auslandskulturpolitik, z.B. in China oder Russland. Smerling, der offensichtlich in Berlin keinen Fuß mehr in die Tür bekommt, versucht es nun in Leipzig. Die Mittel bleiben ähnlich: Kunst, die vorgibt, am Diskurs teilzunehmen und Unternehmen als Sponsoren, die sich der öffentlichen Kontrolle entziehen.

Art Washing. Wer Schmutz am Stecken oder zumindest ein problematisches Image hat, so wie Palantir, dem bleiben verschiedene Mittel, die öffentliche Aufmerksamkeit zu lenken: Das Sponsoring einer Kunstausstellung ist eines davon. Wir kennen das Prinzip vom Gaskonzern Gasprom oder der Pharmafirma Sackler: “Art Washing”, also das Reinwaschen mittels Kunst.

Zur Rolle der Kunst

“Dimensions – Digitale Kunst seit 1859”, dieser Titel lässt nach dem großspurigen Versuch einer Kunstgeschichtsschreibung, wenn nicht gar einer der Digitalität vermuten. Wir fragen uns, was sich für ein Narrativ im Zusammenspiel mit digitaler Kunst in den Hallen der ehemals größten europäischen Fabrik  zur Herstellung von Fräsmaschinen für Geschützrohre und Maschinen zur Munitionsproduktion entfalten soll? Die Verbindung von Militärtechnologie und zeitgenössischer, digitaler Kunst ist spätestens seit Paul Virilio und Harun Farocki augenscheinlich nachvollziehbar, wird hier aber nicht weiter kommentiert.

Während die Kuratorin Dr.  Dan Xu an Kreativität und Kontextkompetenz appelliert, suchten wir Auseinandersetzungen zu Arbeitsbedingungen, Überwachungsmechanismen, diskriminierenden Anwendungen von Technologie im Kontext der Digitalität in ‘Dimensions’ nahezu vergebens. 

Ein Großteil der Arbeiten blendet die gesellschaftlichen Bedingungen von Digitalität aus, vielmehr sollen monumentale Datenvisualisierungen Eindruck schinden. Wenn hier tatsächlich eine Geschichtsschreibung des Digitalen stattfinden sollte, dann scheint diese Geschichte ohne Auswirkungen im Hier und Jetzt geblieben zu sein.

Jedenfalls steht ‘das Digitale’ als Chiffre für Technologie jenseits ihrer gesellschaftlichen Ursachen und Wirkung. Keine Rede ist von der Zerlegung von Arbeit in ihre kleinsten Einzelteile, wie beispielsweise in den Fulfillment-Center von Amazon, oder bei Dienstleistern wie Uber oder Lieferdiensten. Diese erlaubt es Unternehmen, aus den Arbeitenden noch das letztmögliche Stück Leistung heraus zu optimieren. 

Keine Rede ist von Finanzspekulationen an der Börse im mikroskopischen Bereich mittels Computeralgorithmen, die sich jeglicher demokratischer Kontrolle entziehen.

Keine Rede ist von den Clickworker*innen, die für die Algorithmen Künstlicher Intelligenz täglich hunderte von Bildern beschriften, und diese somit überhaupt erst zu Daten machen.

Keine Rede ist von den unterbezahlten Content-Moderator*innen, welche für Social-Media-Platformen die schlimmsten pornographischen und gewalttätigen Posts auf Kosten ihrer eigenen psychischen Gesundheit herausfiltern.

Diese Auswirkungen des Digitalen sind durch zahlreiche Künstler*innen bearbeitet wurden, die jedoch in dieser Ausstellung auffällig abwesend sind. Allenfalls einen zaghaften und verklausulierten Hinweis auf die Zensur im totalitären China gab es in einer der Arbeiten. Den Schlusspunkt hätte eigentlich eine Selfie-Station mit Dateneingabe angebunden an Palantirs Gotham-Überwachungssoftware bilden können. Soweit wollten die Kurator*innen nicht gehen. Stattdessen wurde den Sponsoren Palantir und der Deutschen Telekom ein inhaltliches Podium im Rahmen des Auftaktsymposiums gegeben.

Die Show kündigt auf ihrer Homepage “spektakuläre Kunst” an. Kunst als Spektakel. Dies scheint auch das Maß der Dimensions-Ausstellung zu sein und korrespondiert ganz hervorragend mit dem Ziel der Marke Palantir, dessen CEO Alex Karp auf dem Auftaktpodium neben Sigmar Gabriel, dem Chef der Telekom und den Kurator*innen Platz nehmen durfte. Nicht zufällig gibt Palantir zur selben Zeit ein Buch mit dem Titel „Von Artificial zu Augmented Intelligence – Was wir von der Kunst lernen können, um mit Software die Zukunft zu gestalten“ heraus. Auch in Interviews mit Palantir-Chef Alex Karp wird klar, dass die Ausstellungsbeteiligung über ein „Art-washing“ hinausgeht: Hier soll nicht nur die eigene Marke ins positive Licht der Kunst gestellt werden, sondern der Begriff von freier Kunst selbst angeeignet werden, um für die Programmierer von Überwachungssoftware als „Kolonie von Künstlern“ (Alex Karp) größtmögliche Freiheit ohne Verantwortung einzufordern.

Zusammenfassend: Die Ausstellung Dimensions erscheint als ein Versuch, von der politischen Dimension des Digitalen abzulenken und die Geschichte des Digitalen vornehmlich als ästhetisches Phänomen zu vereinnahmen. Fragen nach demokratischer Kontrolle von Überwachungstechnologien und nach der Aneignung von Daten durch Konzerne wie Palantir werden somit ausmanövriert.

Unsere Forderungen

Wir fordern ein kritisches Verhalten gegenüber Ausstellungen,  die eine entpolitisierte Geschichtsschreibung betreiben.

Wir fordern eine offene Auseinandersetzung und ein Umdenken in Bezug auf Geldgeber*innen – vorzugsweise eine Diskussion, die nicht durch die Sponsoren kooptiert werden kann, indem sie das Setting nach ihrem Gutdünken kontrollieren.

Wir fordern das Entwickeln ethischer Leitlinien zur Förderung von Kunstausstellungen. Dazu bedarf es einer Diskussion der Leipziger freien Kunsträume zu solchen Leitlinien.

Wir fordern eine stärkere Förderung der freien Szene durch die Stadt Leipzig, um solch toxische Sponsorenschaft  zu verhindern."

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