10.03.2022 | Pressemitteilung bbk berlin: Das Atelieranmietprogramm wird abgewirtschaftet!

logo_kulturwerk_bbk berlin

Im Schatten des verstörenden Angriffskrieges in der Ukraine geht die Berliner Kulturpolitik weiter - aktuell mit Entwicklungen, die für uns als Künstler*innen in Berlin eine ernste Bedrohung darstellen.

Das Atelieranmietprogramm wird abgewirtschaftet!

Die in 30 Jahren bewährten Strukturen, die auf der Kooperation kompetenter freier Trägern aus der Zivilgesellschaft mit dem Land Berlin beruhen, werden zerschlagen: als erste Folge sind nun an vier Atelierstandorten alle Ateliers, insgesamt 77, und damit 88 Künstler*innen akut bedroht.

Offenbar um jeden Preis sollen die freien gemeinnützigen Träger wie direkt die Gesellschaft für Stadtentwicklung GSE und indirekt das Kulturwerk des bbk berlin/Atelierbüro aus dem Atelieranmietprogramm herausgedrängt werden. Ohne jeden sachlichen Grund sollen an ihre Stelle eine von der Kulturverwaltung ins Leben gerufene Kulturraum Berlin GmbH, faktisch eine Senatsagentur, und die landeseigene Berliner Immobilienmanagement GmbH als deren Dienstleister treten.

Wir sehen Zentralisierung und Bürokratisierung um ihrer selbst willen, ohne Kompetenz, mit unmittelbar schädlichen Auswirkungen. Weder Kulturraum Berlin GmbH noch BIM haben die notwendige Sachkunde und Erfahrung, um die Aufgaben der Generalmieterin GSE übernehmen zu können. Das aber ist nun beabsichtigt – unter chaotischen Umständen und mit dem offensichtlichen Ziel, künftig über die Flächen des Atelieranmietprogramms nach Belieben verfügen zu können.

Um jeden Preis: Ob dabei seit Jahren bestehende Standorte gefährdet werden, spielt keine Rolle. So wurde der GSE von Verwaltung und Kulturraum Berlin GmbH zunächst untersagt, anstehende Verhandlungen über Vertragsverlängerungen für zwei größere Atelierstandorte abzuschließen, nun wiederum werden ihr die dazu nötigen Gelder aus dem Landeshaushalt nicht zugesagt.

So erklärt die GSE den betroffenen Künstler*innen weshalb sie ihre Untermietverträge im Anmietobjekt Hertzbergstraße nicht verlängern kann:

"...Uns liegt seit dem 27.10.2021 (! – die Red.) ein Angebot für die Weiterführung des Vertrags um weitere fünf Jahre vor. Es handelt sich dabei um eine sogenannte Option, die wir per Vertrag ziehen können. Das war in der Vergangenheit recht unkompliziert. Aufgrund neuer Strukturen im Arbeitsraumprogramm [...] wurde von der Senats-verwaltung verfügt, dass Optionsnahmen wie Neuverträge angesehen werden und somit neue Zuwendungsanträge gestellt werden müssen."

Das hat die GSE notgedrungen getan, aber:

"Leider ist im Rahmen der Umstrukturierung des Arbeitsraumprogramms nicht geklärt, wer die Zuwendung zu den Standorten bewilligt. Weder die Senatsverwaltung für Kultur und Europa noch die neugegründete Kulturraum Berlin GmbH, die das Arbeitsraumprogramm seit Februar 2021 betreut, sehen sich in der Lage, eine Zuwendung zu erteilen. Seit Herbst 2021 (! – die Red.) bemühen wir uns leider erfolglos um Klärung...".

In landeseigenen Objekten schließen die Kulturraum Berlin GmbH und die BIM bereits selbst Untermietverträge mit Künstler*innen. In diesen Verträgen ist weder vom Vergabebeirat noch von seiner Geschäftsstelle, dem Atelierbüro, die Rede.

Im Gegenteil: In ihnen nehmen Kulturraum Berlin GmbH und BIM für sich das Recht in Anspruch, selbst über die Förderberechtigung von Künstler*innen zu entscheiden!

Und: Der Vertragstext beschränkt die Vertragsdauer auf völlig willkürlich festgesetzte 4 Jahre. Auch von einem Anspruch der Künstler*innen auf Verlängerung, wenn die individuellen Voraussetzungen weiterbestehen, ist hier keine Rede. Da hilft es wenig, wenn die Richtlinie des Atelieranmietprogramms dem Vertrag beigefügt ist: Der Vertragstext widerspricht ihr direkt und in wesentlichen Punkten. Mindestfolge ist auch hier die Chaotisierung von Kommunikationsprozessen. Folge ist auch: ob die Richtlinie von Kulturraum Berlin GmbH und BIM eingehalten wird oder nicht, kann niemand mehr kontrollieren.

Ein Anreiz, eigentlich zweckgebundene Atelierräume jenseits der Richtlinien des Atelieranmiet-programms zu höheren Mieten zu vermieten, wie das die Kulturraum GmbH für Räume anderer Sparten bereits tut, ist vorauszusetzen.

Auch darüber hinaus ist der neue Vertragstext in vielen weiteren Bestimmungen für das Atelieranmietprogramm völlig ungeeignet und macht künstlerisches Arbeiten unmöglich. Die BIM kündigt nun an, mindestens sechs Wochen für den Abschluss von Untermietverträgen zu brauchen – bei der GSE sind es in der Regel zwei Wochen. So wird systemisch teurer Leerstand produziert.

Die BIM ist an dieser Stelle offenbar nicht der geeignete Partner, um Generalmieteraufgaben im Rahmen der Künstler*innenförderung zu übernehmen.

Künftig wird es drei(!) Gesellschaften geben, die parallel zueinander in überwiegend unklarer Rollenverteilung Vermietungsaufgaben im Programm wahrnehmen sollen: Kulturraum Berlin GmbH und BIM sowie – jeweils bis zum Ende eines Hauptmietvertrags – weiterhin die GSE. Das schafft ohne Not immensen Abstimmungs- und Koordinationsaufwand – und selbst dieser wird nicht ausreichen, funktionierende Arbeitsstrukturen aufzubauen. Nach einem Jahr Vorbereitung gibt es weder klare und transparente Vertragsstrukturen, niemand weiß, wer wann wofür Ansprechpartner ist, nicht einmal richtlinienkonforme Untermietsvertragsmuster liegen bisher vor. Bereits im letzten Jahr hat sich eine von der BIM beauftragte Vermietungssoftware für das Anmietprogramm als ungeeignet erwiesen.

Das Atelierbüro hat seit einem halben Jahr immer wieder gegenüber Verwaltung, Kulturraum Berlin GmbH und BIM mündlich und schriftlich zu diesen bedenklichen Prozessen deutlich Position bezogen.

Das Experiment, Kulturraum Berlin GmbH und BIM in die Organisation des Atelieranmietprogramms einzubeziehen, ist gescheitert.

Der bbk berlin fordert:

  1. Generalmieterin im Atelieranmietprogramm bleibt – auch bei neu anzumietenden und bei landeseigenen Objekten! – die GSE. Die bisher wenigen Verträge, die mit der Kulturraum Berlin GmbH bzw. der BIM geschlossenen wurden, werden entsprechend umgestellt.
     
  2. Die Kulturraum Berlin GmbH ist unverzüglich abzuwickeln, denn sie hat keines der Probleme im Arbeitsraumprogramm gelöst und für das Atelieranmietprogramm nur neue geschaffen. Zugleich agiert sie jenseits jedweder parlamentarischen und öffentlichen Kontrolle und will sich zunehmend an die Stelle künstlerischer Selbstorganisation und freier gemeinnütziger Träger stellen, ohne über deren Kompetenz und Erfahrung zu verfügen.
     
  3. Für das Atelieranmietprogramm wird wieder ein eigener Titel im Landeshaushalt eingerichtet. Die künstliche Verknüpfung mit den ganz anderen räumlichen und infrastrukturellen Bedarfen anderer Kunstsparten in einem Arbeitsraumprogramm hat die Atelierförderung nur behindert, ohne den anderen Sparten Nutzen zu bringen. Wie mit dem Atelieranmietprogramm für bildende Künstler*innen sollten für sie spartenspezifische und zielgenaue Entwicklungsprogramme konzipiert und realisiert werden.

 

Zoë Claire Miller und Heidi Sill
Sprecherinnen des bbk berlin

Rückfragen bitte unter: presse@bbk-berlin.de

 

Erläuterungen zum Atelieranmietprogramm und seinen Richtlinien:

Das Atelieranmietprogramm wurde 1992 vom bbk berlin, dem Atelierbüro im kulturwerk des bbk berlin und der gemeinnützigen Gesellschaft für Stadtentwicklung – GSE als Projekt aus der Zivilgesellschaft konzipiert und wird seit 1993 in Zusammenarbeit mit der Senatskulturverwaltung realisiert.

Aktuell arbeiten fast 1.000 Künstler*innen in den nahezu 1.000 Ateliers, die sich im Programm befinden. Dabei mietet die GSE als Generalmieterin geeignete Räume an und vermietet diese als Ateliers an Künstler*innen unter. Die Mieten, die Künstler*innen dafür zahlen müssen, liegen deutlich unter den Marktmieten. Die entstehende Differenz zum eigentlichen Mietpreis wird der GSE über eine Zuwendung aus dem Landeshaushalt ausgeglichen. Die Programm-Ateliers werden vom Atelierbüro öffentlich ausgeschrieben und von einem Atelierbeirat, der mehrheitlich aus Künstler*innen besteht, vergeben.

Die Künstler*innen, die sich um die Nutzung bewerben, müssen Einkommensgrenzen einhalten. Das gilt auch währende der gesamten Nutzungszeit. Die Einhaltung dieser Grenzen wird vom Atelierbüro geprüft. Auch die Kommunikation mit den Künstler*innen und der GSE als Generalmieterin über die Vergabeentscheidungen des Beirats ist Aufgabe des Atelierbüros.

Das Atelieranmietprogramm sieht eine deutliche Trennung zwischen den Verwaltungsaufgaben der Generalmieterin GSE und den Vergabeentscheidungen des Beirates mit seiner Geschäftsstelle, dem Atelierbüro, vor. Dazu gibt es eine aktuell zwischen dem bbk berlin, dem Atelierbüro und der Senatskulturverwaltung einvernehmlich verhandelte und erneuerte Richtlinie des Senats. Diese ist verbindlich – eigentlich.