19.07.2021 | TAZ: Altersarmut bei Künst­le­r*in­nen: Immer weiter arbeiten

TAZ vom 17./18. Juli 2021: "Kunst machen hört nie auf" von Jana Janika Bach.

Auszug: Künst­le­r*in­nen leben oft im Prekariat. Im Alter verschärfen sich ihre ökonomischen Probleme. Es fehlen Modelle gegen die Altersarmut in der Kunst.

"Gefürchtet werden Sanktionen vom Amt, sofern Grundsicherung oder andere Sozialhilfeleistungen bezogen werden, ebenso wie Rufschädigung. Nach wie vor ist Altersarmut ein Tabuthema, obwohl sie immer mehr Menschen betrifft, auch in Deutschland.

So geht etwa aus den 2019 veröffentlichten Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) hervor, dass bei einem Anstieg von 16,8 auf 21,6 Prozent jeder fünfte Rentner in 20 Jahren von Armut betroffen sein könnte. Zudem hat die Pandemie die Problematik weiter verschärft, wie Sozialverbände oder das Deutsche Institut für Altersvorsorge (DIA) warnen.

Leben im Prekariat, sogar im hohen Alter – für viele Künst­ler­i­n*­in­nen hierzulande ist diese Prognose bereits Realität. Eine Gruppe, die vom Bund in der Krise im Stich gelassen wurde, findet die Sprecherin des berufsverbands bildender künst­le­r*in­nen berlin (bbk berlin), Zoë Claire Miller. In Berlin habe es zwar substanzielle Rettungsprogramme gegeben, doch seien die ohne Digitalkompetenz kaum zugänglich gewesen.

Auch deshalb entschied sich der bbk berlin dazu, eine von der Giesecke+Devrient Stiftung erhaltene Spende an insgesamt 29 Künst­le­r*in­nen über 60 Jahre auszuschütten, in Form von Einmalzahlungen in Höhe von jeweils 2.000 Euro. Vergeben wurde nach „sozialer Dringlichkeit“ und an professionell tätige Kunstschaffende, erläutert Miller.

Jeder Einzelfall ist vom Beirat, ähnlich wie beim Atelier-Programm des bbk berlin, diskutiert worden. Die Schicksale gegeneinander abzuwägen, sei nicht leicht gefallen. Unter 80 Be­wer­be­r*in­nen mit unterschiedlichstem Background wurde ausgewählt, darunter wären auffallend viele Frauen gewesen, „weil ihnen die Jahre der unbezahlten Pflegearbeit an Renteneinzahlungen fehlen“, sagt Miller. ...

Grundrente? Für Künstler*innen schwer erreichbar

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft ein großer Graben. Das zeigt auch die nun beschlossene Grundrente, die von vornherein all jene ausschließt, die nicht mindestens 30 Prozent des jährlichen Durchschnittsentgelts erwirtschaften – selbst dann, wenn lückenlos 35 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt wurde.

Für 2020 wurde die Grenze bei 12.165 Euro ermittelt, eine Umfrage der Künstlersozialkasse ergab, viele der KSK-Versicherten erreichten diesen Jahreswert nicht. „Die Umfrage des Bundesverbands hat ergeben, dass selbst die Ma­le­r*In­nen mit 12.200 Euro Mittelwert darunter liegen“, bestätigt Zoë Claire Miller. In Berlin fiele das Ergebnis noch dramatischer aus, da pendle sich der jährliche Verdienst der Künstler bei 10.700 und bei Künstlerinnen bei 9.300 Euro ein. ...

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