31.10.2023 | Zur Lage

 

In den letzten zwei Wochen erreichten uns zahlreiche Gedanken und Botschaften der Sorge aus unserer Mitgliedschaft. Alle eint die Angst und das Entsetzen über die Eskalationen der Gewalt in Israel und Palästina, deren Auswirkungen in Deutschland, Berlin, der Kultur und Politik. Es herrscht extreme Verunsicherung.

Der Angriff der Hamas und das Töten von Zivilist*innen ist durch nichts zu rechtfertigen. Unser volles Mitgefühl und unsere Trauer gelten den Opfern, wir hoffen auf die Freilassung aller Geiseln.

Deutschland hat aufgrund seiner Geschichte von Antisemitismus und ethnischen Säuberungen eine besondere Verantwortung in Bezug auf jüdisches Leben und auf Israel, dazu gehört Verantwortung für die Situation der Palästinenser*innen. 

Durch Israels Bombardierung und Blockade von Gaza sind unzählige Palästinenser*innen in den letzten Wochen getötet worden, die humanitäre Lage ist desaströs. Wir schließen uns den Rufen von UN Generalsekretär Antonio Guterres, Human Rights Watch, Amnesty International nach einer sofortigen humanitären Waffenruhe und der Einhaltung des Völkerrechts an. 

Wir befürchten bei einer Fortführung des Bombardements von Gaza Eskalationen wie die Involvierung weiterer Kriegsparteien mit kaum vorstellbaren Konsequenzen, auch den Tod der israelischen Hamas Geiseln.

In Berlin ist die größte palästinensische Diaspora Europas sowie eine der größten israelischen Diaspora der Welt zuhause. In den letzten Jahren gab es eine starke Zunahme rassistischer und antisemitischer Diskriminierung und Gewalt in Deutschland - nicht erst seit dem 7. Oktober.

Wir wollen nicht zulassen, dass Trauer und Leid der direkt und indirekt Betroffenen, zu denen unserer Freund*innen, Kolleg*innen, Nachbar*innen gehören, gegeneinander ausgespielt werden. Wir sprechen uns gegen reduktive, absolutistische Gleichsetzungen von Milizen oder Regierungen von Ländern mit den Menschen in und aus diesen Ländern aus. Auch eine Nationalflagge ist nicht deckungsgleich mit einer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit. Solche Gleichsetzungen erzeugen Polarisierung und Spaltung von denen nur die rechte und rechtsextreme Agenda profitiert.

Wir erleben, dass in der gegenwärtigen Situation Kunstfreiheit, Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, der Pressekodex sowie Asylrecht in Berlin und deutschlandweit hinterfragt und autoritär eingeschränkt werden. Das erzeugt einen kritischen Vertrauensverlust in die Gesellschaft und den Staat. Wir leben in Berlin, weil wir die Stadt als Ort großer Freiheit, Solidarität und Vielstimmigkeit schätzen: In Berlin muss öffentliches Trauern und Protestieren möglich sein. Wir schließen uns der Einschätzung und den Forderungen des offenen Briefs jüdischer Intellektueller vom 22.10.2023 an. (English version)

Künstler*innen dürfen nicht aufgrund vorauseilender Selbstzensur von Institutionen zum Schweigen gebracht werden. Ausgerechnet jetzt israelischen, palästinensischen, muslimischen und jüdischen Stimmen den Raum zum Sprechen zu nehmen ist nicht nur ein ethisches Versagen, sondern ein Verlust für eine empathische und nuancierte öffentliche Debatte und eine informierte Meinungsbildung.

Kulturschaffende sollten das Recht haben, sich frei auszudrücken. Mächtige Organisationen, wie zum Beispiel der Deutsche Kulturrat, sowie führende Medien sollten sie nicht unter Druck setzen, zur Situation im Nahen Osten öffentlich Stellung zu beziehen. Wir als Künstler*innen Berlins sind eine vielfältige Gemeinschaft zu der nicht besonders viele Nahostkonfliktexpert*innen gehören und jede*r, die/der zu ihr gehört, sollte das Gefühl haben, dass er/sie den Raum hat, sich als gleichberechtigte Person in der Gesellschaft sicher zu fühlen. Viele äußern sich nicht, aus Angst, das Falsche zu sagen, aus Angst, dass sie nicht die richtigen Worte finden, ihre Aussagen unbeabsichtigt verletzen, falsch verstanden oder instrumentalisiert werden. Was auch geschieht. Wir appellieren dringend an die Medien, ihrer Rolle als vierte Gewalt in der Demokratie gerecht zu werden, die Sorgfaltspflicht und den Pressekodex zu beachten und keinen Hass zu schüren.

Als Künstler*innen in Berlin rufen wir gemeinsam dazu auf: Zeigt Zusammenhalt! Steht im Alltäglichen und im Strukturellen gegen Antisemitismus und Rassismus auf.

Neben den direkt betroffenen Personen, die um Familie und Freund*innen fürchten oder Freund*innen und Familie verloren haben: Alle von Rassismus und Antisemitismus Betroffene benötigen gerade unsere Solidarität und unseren Rückhalt. 

Wir fordern daher, Diskursräume zu schützen, Medienkompetenz anzuwenden, binäre Denkweisen zu hinterfragen und miteinander in den Austausch zu treten.

Lasst uns füreinander da sein und uns bei denjenigen melden, die betroffen sind. Lasst uns nachfragen, zuhören und gemeinsam unterstützen, wo wir können. Niemand sollte diese Zeit alleine durchstehen müssen. Lasst uns zusammenstehen.

Vorstand des bbk berlin